Einzelkind: Vor- und Nachteile

Ein Kind oder zwei Kinder oder doch mehr? Diese Frage stellen sich beinahe alle Eltern zwangsläufig mal. Wenn wir die Entscheidung mal getroffen haben respektive, wenn wir das erste Mal Eltern geworden sind, drängt sich die Frage auf, ob man noch ein weiteres Kind haben möchte.

Die endgültige Entscheidung wird natürlich nicht immer absichtlich getroffen und ist von vielen anderen Faktoren zusätzlich abhängig. Dennoch geistert vielen Eltern diese Frage durch den Kopf. Heute möchte ich Ihnen ein bisschen Einblick geben in die Psychologie Einzelkinder betreffend und mit alten Vorurteilen aufräumen. Einzelkinder sind nämlich nicht unbedingt einsamer und verwöhnter als Geschwisterkinder, sind aber dafür meist motivierter und haben oft auch einen Vorteil im Spracherwerb.

Ist ein Einzelkind unglücklich?

Viele Eltern machen sich Sorgen, dass ihr Kind als einziges Kind in der Kernfamilie nicht glücklich ist. Ich kann Sie hier gleich mal vorab beruhigen: Glück hängt von vielen Faktoren ab. Geschwisterkinder spielen keine wesentliche Rolle.

"Ein jeder hat seine eigne Art, glücklich zu sein, und niemand darf verlangen, dass man es in der seinigen sein soll."

Heinrich von Kleist, Dramatiker (1777-1811)

Oftmals sind es die elterlichen Vorstellungen über Geschwisterkinder, die den Fokus natürlich eher auf die positiven Seiten legen. Aber auch die Angst, unseren Kindern zu schaden, wenn Sie Einzelkinder blieben. Zu bekannt sind die Vorurteile und Hypothesen über Einzelkinder. Die haben einen Grund, sie wurden tatsächlich von einem Psychotherapeuten beobachtet. Aber, das war Anfang des 20. Jahrhunderts von Alfred Adler. Es liegen also gute 100 Jahre zwischen heute und diesen Erkenntnissen und besonders die Kindererziehung, die Sichtweisen und das Wissen, haben sich seitdem sehr stark verändert und weiterentwickelt.

Viele dieser damals beobachteten Verhaltensweisen, wie dass Einzelkinder verwöhnter wären und auf andere keine Rücksicht nehmen können, wurden in zahlreichen Studien seither nicht mehr beobachtet. Aber dazu, weiter unten genauer.

Welche Probleme haben Einzelkinder?

Um einen besseren Überblick zu bekommen, ist es hier sinnvoll, sich unterschiedliche Studien über Einzelkinder und Metaanalysen anzusehen. Ein markantes Ergebnis fällt dabei auf, die Eltern-Kind-Beziehung hat einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung unserer Kinder. Nun, das ist natürlich keine neue Erkenntnis. Die Studien zu Einzelkinder zeigen, dass Eltern mit einem Kind häufig ängstlicher sind, aufgrund vieler neuen Erfahrungen mit ihrem (einzigen) Kind.

In zahlreichen Studien wurde auch festgestellt, dass Einzelkinder eher zu Übergewicht neigen als Geschwisterkinder. Sogar um bis zu 40 % höher. Es wurde beobachtet, dass Eltern von Einzelkindern Essen häufiger als Druckmittel einsetzten. Hier wurde zum einen das Essen als Belohnung, oder als Strafe (z. B.: Verbot von Süßigkeiten) eingesetzt. Eltern von mehreren Kindern hingegen wenden diese Mittel anscheinend weniger häufig an.

Sind Einzelkinder später einsam?

Einzelkinder sind nicht einsamer als Geschwisterkinder. Haben sie die Möglichkeit dazu, führen sie intensivere Freundschaften und schaffen es relativ gut, die sozialen Kontakte auszugleichen. Es konnte auch nicht beobachtet werden, dass Einzelkinder schüchterner oder introvertierter sind.

Allerdings fand Blair (2013), dass Einzelkinder unangekündigte Absichten anderer nicht so gut vorhersehen und abschätzen können, wie das die Geschwisterkinder können.

Im Kleinkindalter und Volksschulalter ließ sich jedoch, laut einer Studie aus 2002, eine leicht stärkere Unbeliebtheit von Einzelkindern im Gruppenverband feststellen. Die Anzahl der Freunde war jedoch gleich. Dieser Effekt verlor sich dann auch bis zum Teenageralter.

Haben Einzelkinder psychische Probleme?

Hier unterscheiden sich die Studien und sind sich sehr uneinig. Eine berichtet davon, dass Kinder glücklicher sind ohne Geschwister, im Kindesalter und andere berichten davon, dass Einzelkinder häufiger unter Depressionen im Jugendalter leiden. Andere wiederum geben an, dass Geschwisterkinder häufiger im Teenageralter unter Depressionen leiden, da sie sich weniger ihren Eltern anvertrauen.

Im Erwachsenenalter zeigen sich jedoch keine Unterschiede in der Häufigkeit von Depression, Panikstörungen oder anderen psychischen Problemen im Zusammenhang mit Geschwister- oder Einzelkindsituation.

Sind Einzelkinder Narzissten?

Nein. Ob Kinder narzisstisch, verwöhnt und sozial inkompatibel sind, hängt nicht damit zusammen, ob sie Einzelkinder sind. Auch diese Theorie beruht primär auf die Studien von Alfred Adler, konnten aber in den Studien der letzten 50 Jahre nicht nachgewiesen werden. Vielmehr sind die Beziehung zu den Eltern, die Sozialisation, die Vorbildrolle, der Selbstwert und das Selbstbild, sowie andere entwicklungsfördernde Faktoren, für diese Eigenschaften ausschlaggebend.

Es zeigte sich, dass wir keine Geschwister benötigen, um Empathie, Respekt und soziale Regeln zu lernen. Vielmehr benötigen wir einfach andere Menschen, um diese Fähigkeiten zu lernen und zu erforschen. Je früher Kinder Kontakt in sozialen Gruppen, wie Spielgruppen, haben, desto leichter fällt ihnen das Erlernen von sozialen Regeln und das soziale Miteinander später. Auch Teilen und Konkurrenzverhalten wird dadurch geschult und zusätzlich gefördert.

Natürlich haben Geschwisterkinder und deren Eltern, hier den Vorteil, solchen Situationen ohnehin zu Hause ausgesetzt zu sein, die solch ein Verhalten notwendig machen. Einzelkinder und deren Eltern müssen solche Situationen mit anderen Kindern bewusst aufsuchen. Die alleinige Auseinandersetzung und Interaktion mit uns Eltern kann diese kindlichen Erfahrungen des sozialen Miteinanders nicht ausgleichen.

Einzelkinder dürften besonders im Stresssituationen und Krisen belasteter sein als Geschwisterkinder, da ihnen die Unterstützung von Geschwistern fehlt. Der Umgang zwischen Geschwistern ist meist emotionsgeladener, das mag in vielen Situationen zu Streit führen. Aber in belasteten Situationen können sich Geschwister so besser gegenseitig unterstützen und sich besser ineinander hineinversetzen, als das etwa Freunde können.

Wie schlimm ist es, ein Einzelkind zu sein?

Für unsere Kinder selbst ist ein meist nicht schlimm. Auf keinen Fall liegt diese Erfahrung im kritischen Bereich. Natürlich kann es sein, dass sich so manch ein Kind ein Geschwisterchen wünscht. Vor allem, wenn sie es bei anderen Kindern erleben. Eine Geschwisterbeziehung ist letztlich doch etwas Besonderes. Dennoch ist es nicht so, dass es die Lebensqualität mindert keine Geschwister zu haben. Einzelkinder gleichen den sozialen Kontakt über Freundschaften aus und intensivieren dann diese Beziehungen mehr.

Einzelkinder haben den Vorteil, dass sie meist die ungeteilte Aufmerksamkeit ihrer Eltern genießen. Dies führt oftmals sogar zu Vorteilen. Einzelkinder tun sich größtenteils leichter in Spracherwerb und sind dabei mehrheitlich auch motivierter. Es ist anzunehmen, dass dies durch die erhöhte Aufmerksamkeit der Eltern herrührt. Dies führt zu mehr Erfolgserlebnissen durch die Anerkennung von uns Eltern. Insgesamt fördert dies dann die Motivation für lebenslanges Lernen und Einzelkinder. In einer Studie des österreichischen Instituts für Familienforschung wurde aufgezeigt, dass Einzelkinder und Geschwisterkinder ungefähr gleichauf beim Schulabschluss mit Matura sind. Aber deutlich mehr Einzelkinder (21,1 % gegenüber 15,6 % Geschwisterkinder) haben einen Universitätsabschluss.

Resümee

Die Entscheidung für ein oder mehr Kinder sollte nicht unbedingt vom (ersten) Kind abhängig gemacht werden. Natürlich hat auch diese Entscheidung vor und Nachteile und betrifft alle Familienmitglieder. Aber die Entscheidung müssen wir Eltern auf Basis unserer verfügbaren Ressourcen in allen Bereichen treffen.

Oftmals ist die Entscheidung auch keine freiwillige, sondern eine biologische. Hier kann ich nur dazu raten, auf den Ausgleich der vor allem frühen sozialen Interaktion mit anderen Kindern zu achten. Ansonsten sollten sie sich auf die positiven Seiten konzentrieren, die es hat, ein Einzelkind zu haben, wie die vermehrte Aufmerksamkeit, die besser kognitive Förderung und die engere Bindung.

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Mag. Ines Wurbs

Ines Wurbs ist Psychologin und Mutter zweier Kinder. Ihre Leidenschaft konnte sie zum Beruf machen und stellt ihre mehr als 15-jährigen Erfahrung mit Kindern und Familien auf Familienpsychologin.eu zur Verfügung.

Ihr psychologischer Ratgeber in Familien- und Beziehungssachen.
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