Hypersensibilität bei Kindern

Hypersensibilität ist ein Begriff, den wir in letzter Zeit öfter hören. Es handelt sich hier formal betrachtet nicht um eine Erkrankung oder Störung, da sie in die Diagnosemanuale (noch) nicht aufgenommen wurde. Hypersensibilität zählt aber zu den sensorischen Integrationsstörungen und bedarf auf jeden Fall unserer Aufmerksamkeit und gegebenenfalls Therapie und Unterstützung.

Immer wieder fällt Eltern und Lehrern ein „unangepasstes“ Verhalten in bestimmten Situationen und vor allem bei bestimmten Reizeinflüssen auf. Ein Kind zuckt weg, wenn man ankommt, es weint leicht bei vermeidlich schwachen Berührungen oder es hält sich die Ohren zu, obwohl die Lautstärke erträglich ist. Hier kann möglicherweise eine Hypersensibilität dahinterstecken. Leider ist sie schwer zu erkennen und noch nicht so im alltäglichen Bewusstsein angelangt. Dennoch gibt es Hochsensibilität, aber wenn man weiß, worauf zu achten ist und wie man helfen kann, lassen sich die negativen Auswirkungen stark reduzieren, oder sogar komplett verhindern.

Was ist Hypersensibilität?

Hypersensibilität meint, dass jemand besonders empfindlich auf die unterschiedlichen Reize reagiert, eine Art Überreaktion auf Reize. Dabei können eine oder auch mehrere Sinne betroffen sein. Viele Kinder reagieren empfindlich auf Geräusche, andere auf Berührungen oder auch beides. Aber auch Gerüche, Geschmackserlebnisse oder visuelle Eindrücke gehören dazu.

Dieses empfindliche Reagieren geschieht nicht absichtlich oder gar böswillig, sondern ist eine (unwillkürliche) starke Reaktion auf diese Reize.

Ursachen von Hochsensibilität bei Kindern

Die Ursachen sind auch hier nicht zur Gänze geklärt. Aber es wird davon ausgegangen, dass Hypersensibilität mehrere Ursachen haben kann und auch ein Zusammenspiel dieser möglich ist.

  • Genetische Faktoren, also durch Vererbung von einem Elternteil
  • Umweltfaktoren: dabei stehen vorwiegend Problem vor, während und nach der Geburt im Fokus (Frühgeburt, Schwangerschaftsvergiftung, mangelnder Sauerstoff, …) und
  • traumatischer Erlebnisse

All diese Gründe können die neuronale Verarbeitung in bestimmten Gehirnregionen so beeinflussen, dass wir schneller auf Reize reagieren als andere. Dieses schnellere Reagieren ist die Hypersensibilität.

Eine Studie aus 2018 zeigt, dass Hochsensibilität hauptsächlich durch Stress verschlechtert wird. Wobei sich vorwiegend der Stress durch Verlust, Unsicherheit, körperliche Krankheitssymptome und die Gesamtbelastung negativ auswirken.

Anzeichen von Hypersensibilität bei Kindern

Hypersensibilität ist nicht immer auffällig und sofort zu erkennen. Oft braucht es Jahre, bis Eltern wissen, wo das Problem liegt. Bei vielen Kindern wird es auch nie bemerkt.

Hypersensibilität drück sich oft durch:

  • Schneller Überreizung
  • Schnelle Überforderung
  • Verweigerung
  • Vermeidungsverhalten (Ohren zu halten, Situation versuchen zu vermeiden, zurückziehen …)
  • Aggression
  • weinen
  • trotzen
  • übertriebenes Lachen
  • lautes Schreien
  • Schwierigkeiten bei der Anpassung an neue Situationen und
  • eine Vorliebe für gewisse Materialien zur Beruhigung aus.

Die Anzeichen sind hauptsächlich die starken und meist unangebracht wirkenden Emotionen auf gewisse Situationen. Gewisse Materialien, wie Sand, Fell, getrocknete Hülsenfrüchte, wirken dagegen vorwiegend beruhigend auf Kinder mit Hypersensibilität.

Auswirkungen von Hypersensibilität auf das Leben der Kinder

Hypersensible Kinder entwickeln oft selbst ausgezeichnete Strategien, mit der Überreizung umzugehen. Dennoch werden sie oft als „schwierig“ oder „stur“ wahrgenommen. Sie lernen rasch, welche Situationen ihnen nicht guttun und versuchen dann, diese in Zukunft zu vermeiden. Das schränkt die Freizeit natürlich ein und reduziert das soziale Miteinander.

Das soziale Leben wird aber nicht nur im Freundeskreis zeitlich beeinträchtigt, natürlich einstehen auch Spannungen und Missverständnisse bei Freunden, Lehrern und auch bei uns Eltern. Diese Spannungen führen zu einer schlechteren zwischenmenschlichen Beziehung und belasten den Selbstwert, das Selbstbewusstsein und das Vertrauen. Das kann natürlich zu langfristigen Beeinträchtigungen und psychischen Problemen bei Betroffenen führen.

Unterstützung für hypersensible Kinder

Hier einige Tipps, wie Sie den Umgang mit hypersensiblen Kindern gestalten können und worauf zu achten ist:

A. Eltern-Kind-Interaktion

Wie wir mit unseren Kindern umgehen, prägt unsere Kinder natürlich ein Leben lang. Daher ist das Miteinander zwischen Kinder und Eltern ein wesentlicher Punkt, auf den gerade bei Hypersensibilität zu achten ist. Das Überschießen der Emotionen führt oft zu belastenden Situationen, nicht nur bei den Kindern, sondern auch bei uns Eltern. Es ist für uns als Eltern oft schwierig, immer die Ruhe zu bewahren und alles gelassen zu nehmen. Emotionale Ausbrüche und Verweigerung erschweren uns natürlich den Alltag und reizen uns auch irgendwann. Daher ist die Eltern-Kind-Beziehung oftmals durch Hypersensibilität bereits belastet. Wichtig, um ein gutes Miteinander zu schaffen, sind:

Verständnis und Akzeptanz zeigen

Denken Sie daran, dass keine böswillige Absicht hinter der starken Reaktion steckt. Versuchen Sie Ihr Kind so zu akzeptieren, wie es ist und ihm/ihr den Umgang mit stressreichen Situationen zu lehren.

Kommunikation und emotionale Unterstützung

Das einfachste Mittel ist es, darüber mit Ihrem Kind zu sprechen. Erklären Sie ihm/ihr, was gerade in ihm/ihr vorgeht. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ihr Kind das selbst nicht weiß. Durch das Ansprechen der Gefühle, lernt das Kind sich auch selbst dazu genauer auszudrücken und seine Anliegen, Bedürfnisse und Ideen rechtzeitig kundzutun. Und auch wir Eltern lernen so, auf diese starken Emotionen Rücksicht zu nehmen und uns den Grund ins Gedächtnis zu rufen.

B. Schaffen einer anpassungsfähigen Umgebung

  • Reizreduktion durch reizarme Umgebung, Kopfhörer und lange Kleidung zum Beispiel.
  • Ruhe- und Rückzugsmöglichkeiten schaffen und ermöglichen.

C. Sensibilisierung im sozialen Umfeld

  • Sachliches Informieren von Verwandten, Lehrkräften und Betreuern
  • Unterstützung und Verständnis im sozialen Umfeld holen, um den Alltag für alle stressfreier zu gestalten.

Bewältigungsstrategien für hypersensible Kinder

Hier habe ich einige Strategien zum Umgang und Bewältigung von Hypersensibilität zusammengefasst:

Selbstregulationsübungen (Atemtechniken, Entspannungstechniken)

 Die Lokomotive: Atemübung für kleine Kinder

Kinder lernen am besten, wenn sie sich etwas bildlich vorstellen können. Das Gleiche gilt für Entspannungsübungen: Je anschaulicher die Übung angeleitet wird, desto einfach ist sie für kleine Kinder umzusetzen. Bei dieser Atemübung stellt man eine Dampflok nach, die kräftig ein- und ausatmet. Mal schneller, mal langsamer, lauter und leiser.

Bäumchen, rüttle und schüttle dich

Das Kind soll sich gerade hinstellen. Dann soll es beginnen, ganz locker auf der Stelle zu hüpfen. Beim Hüpfen soll es gleichzeitig den ganzen Körper durchschütteln: Schultern, Arme, Hände – wie der Haselbaum bei Aschenputtel. Das Ganze etwa eine Minute lang. Sagen Sie dazu auch:

„Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich.“ Danach: „Bäumchen, rüttel und schüttel deine …“ (und entsprechenden Körperteil einsetzen).

Dann soll Ihr Kind ganz langsam den Kopf kreisen, von links nach rechts. Wieder ca. eine Minute lang.

Nun noch eine weitere Minute hüpfen und schütteln.
Darauf noch eine Minute den Kopf in die andere Richtung kreisen.
Und nun folgt die Abschlussminute. Eine Minute wieder hüpfen, rütteln und schütteln.

Info zur Übung: Bei Belastungen und Unruhe verspannt der Körper. Mit dieser Übung werden Anspannungen gelöst.

Insgesamt dauert sie etwa fünf Minuten. Für Kindergartenkinder und Kleinkinder sollten die Übungsteile entsprechend verkürzt werden. Auch, wenn sich Ihr Kind nur eine Minute lang sanft schüttelt und rüttelt, ist das eine Wohltat für den verspannten Körper.

Kinderyoga

Auch alle Übungen für Kinder aus dem Yoga Bereich eignen sich hervorragend zum Entspannen. Hier habe ich einen Linkt mit Yogaübungen für Kinder für Sie herausgesucht.

Entspannungsgeschichte: Die ersten Frühlingsblumen

Eine Entspannungsgeschichte für Kinder macht Spaß und erleichtert es den Kindern zu entspannen. Hier habe ich eine von Kita Turnen.de zum Thema Frühling, die meine Kinder besonders mögen.

Hier geht es nicht darum, dass Kinder still liegen. Diese Geschichte erleben die Kinder mit dem ganzen Körper – sie spielen diese Geschichte. Die Kinder hören die Entspannungsgeschichte und spielen das Wachstum der Pflanze nach.

Material:
Chiffontücher, eventuell Entspannungsmusik dazu aufdrehen.
Alter:
ab 3 Jahren

Die Kinder liegen zusammengekauert auf dem Boden, das Chiffontuch halten sie zusammengeknüllt in den Händen.

Vorgeschichte:
Letztes Jahr habe ich viele kleine Blumenzwiebeln in die Erde gesteckt. Jetzt hoffe ich, dass sie im Frühling anfangen zu wachsen und wunderschöne Blumen blühen. Mit euch möchte ich jetzt eine kleine Geschichte spielen. Ihr seid meine kleine Blumenzwiebel und liegt noch in der Erde. Wenn ihr genau zuhört, dann werdet ihr mitspielen können, wie die Blume wächst.

Geschichte:
Eine kleine Blumenzwiebel liegt tief in der Erde versteckt. (Kinder liegen zusammengekauert am Boden.)
Um sie herum ist es noch kalt und sie zittert ein wenig. (Etwas zittern und enger zusammenrollen.)
„Ob es bald Frühling wird und die Sonne wieder richtig scheint?“, fragt sich die kleine Zwiebel jeden Tag. Und wirklich langsam beginnt der Boden wärmer zu werden. Das gefällt der Blumenzwiebel und sie beginnt sich ein kleines bisschen Hin und Her zu bewegen. (Hin und her bewegen, noch zusammengekauert bleiben.)
Bald darauf streckt die Blumenzwiebel langsam ihre Wurzeln aus. (Beine ausstrecken)
Es ist so schön warm, dass sie sich traut, die Wurzeln im Boden zu verankern. „Jetzt kann ich wachsen“, denkt die kleine Blumenzwiebel und beginnt langsam damit einen kleinen grünen Stängel in die Höhe wachsen zu lassen. (Arme beginnen sich zu strecken.)
Höher und höher wächst sie und durchdringt schließlich die Erde. (Größer werden, langsam von der Hocke bis zum Stand wachsen.)
Die warme Frühlingssonne empfängt den Stängel und er wächst weiter und weiter. Als der Blütenstängel schließlich groß genug ist, bildet sich eine kleine Knospe. (Geschlossene Hände mit dem zusammengeknüllten Tuch etwas hochhalten.)
Langsam beginnt diese sich zu öffnen und es erscheint eine wunderschöne Blume. (Hände öffnen sich langsam, sodass das Tuch sichtbar wird).
Leicht wiegt die Blume sich im Wind und genießt die Sonne. (Im Stand hin und her wiegen)
Nach ein paar Tagen ist ihre Zeit leider zu Ende. Sie verliert ihre Blütenblätter (Tuch zum Boden fallen lassen),
der Stängel verliert seine Kraft und sinkt zu Boden. (Langsam wieder kleiner werden, bis man wieder am Boden liegt)

Sensorische Integrationstherapie

Die sensorische Integrationstherapie hilft dabei, die Sinne zu schulen. Und das auf einer breiten Basis und mit vielfältigen Mitteln. Sensorische Integration hilft den Kindern dadurch auch, sich selbst besser einzuschätzen und zu verstehen, sowie sich selbst passender auszudrücken. Genauere Informationen finden Sie dazu hier.

Entwicklung individueller Bewältigungsstrategien

Bewältigungsstrategien nennen wir in der Psychologie auch Coping-Strategien, also Anpassungstechniken. Diese ermöglichen es uns, mit schwierigen Umständen besser klarzukommen.

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In der Studie Hochsensibilität und Stresserleben zeigt sich, dass die effektivsten Strategien Entspannung, soziale Abkapselung und gedankliche Weiterbeschäftigung sind. Gedankliche Weiterbeschäftigung und positive Gedanken können leicht durch ein Dankbarkeitstagebuch (Werbung) in den Alltag integriert werden.

Auch die soziale Unterstützung spielt eine wichtige Rolle. Rein das Wissen, dass es soziale Unterstützung gibt, reicht allerdings nicht aus. Vielmehr ist es die tatsächliche, aktive Unterstützung durch andere, die Entspannung verschafft.

Wichtig, bei der individuellen Suche nach Bewältigungsstrategien ist es, dass man sich einen Überblick verschafft, über Situationen, in denen es gut geht und die Situationen, in denen es Schwierigkeiten gibt. Am einfachsten geht das mit einem Tagebuch oder ähnlichen Notizen, in dem sämtliche Situationen notiert werden, nach einer Woche lässt sich meist gut erkennen, was gut funktioniert. Dabei ist es allerdings notwendig, die Situation, die Tageszeit, die Personen und die Umstände, sowie den Ausgang und die gesetzten Handlungen zu notieren. Die gut funktionierenden Strategien sollten dann mit dem Kind in schwierige Situationen als Ausweg eingeübt werden. Das schafft Sicherheit und nimmt Stress aus angespannten Begebenheiten.

Über die Bedeutung von Hochsensibilität im Jugendalter habe ich diese wissenschaftliche Arbeit für interessierte Leser gefunden.

Fazit

Hypersensibilität ist ein schnelleres, stärkeres Empfinden bestimmter Sinnesreize. Viele Kinder werden lange Zeit missverstanden und bauen manchmal dadurch schwierige Verhaltensweisen über Jahre auf. Viele Kinder bauen aber auch sehr effektive Strategien auf, um gut durch den Alltag zu kommen. Diese Strategien gilt es herauszufinden und zu bestärken. Es ist wichtig, professionell abklären zu lassen, wenn wir uns als Eltern denken, dass irgendetwas nicht stimmt. Hypersensibilität ist eine von vielen Ursachen, die dahinterstecken kann. Lassen Sie sich die Anzeichen und Symptome in Ruhe durch den Kopf gehen und bei Sorgen, wenden Sie sich zunächst an den Kinderarzt Ihres Vertrauens. Auch klinische Kinderpsychologen stehen Ihnen in diesen Fall zur Seite.

Probieren Sie ruhig obige Tipps aus und seien Sie in der Umsetzung konsequent, aber geduldig. Viel Erfolg!

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Mag. Ines Wurbs

Ines Wurbs ist Psychologin und Mutter zweier Kinder. Ihre Leidenschaft konnte sie zum Beruf machen und stellt ihre mehr als 15-jährigen Erfahrung mit Kindern und Familien auf Familienpsychologin.eu zur Verfügung.

Ihr psychologischer Ratgeber in Familien- und Beziehungssachen.
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