Wann beginnen Kinder zu lügen?

Kinder beginnen schon sehr früh zu lügen. Allerdings, ist es, der Definition nach, die Absicht, die dahintersteckt, die die Unwahrheit zu einer Lüge macht. Deshalb fällt das gesamte Babyalter weg. Soweit sind sich unterschiedliche Theorien einig. Allerdings, unterscheiden sich dann die Entwicklung der Moral und des Lügens, wie ich Ihnen gleich darstellen werde. Aber ab wann können Menschen lügen?

Konkret können wir aus den verschiedensten Modellen der Moralentwicklung ableiten, dass Kinder so ungefähr mit 3 Jahren anfangen zu lügen. Wie diese Entwicklung abläuft, erfahren Sie im folgenden Artikel.

So entsteht die Fähigkeit zu lügen

Lügen und Moral hängen unzertrennlich zusammen. Lügen ist die Absicht, jemanden zu täuschen, um selbst einen Vorteil zu haben. Die Gründe, warum Menschen und Kinder lügen, sind vielfältig. Genaueres habe ich in diesem Beitrag für Sie zusammengeschrieben, inklusive Gegenmaßnahmen natürlich. Die Entwicklung, die unsere Kinder durchmachen müssen, um überhaupt lügen zu können, wird in unterschiedlichen Modellen von Entwicklungspsychologen dargestellt. Aber zuerst will ich auf die Fähigkeiten, die es zum Lügen braucht, eingehen.

Es gibt unterschiedliche Theorien in der Psychologie. Darunter haben sich in der Psychologie bekannte Namen, wie Jean Piaget und Lawrence Kohlberg oder auch Robert Selman findet man hierzu.

Generell lässt sich sagen, dass sich Lügen erst entwickelt, wenn unsere Kinder die Fähigkeit besitzen absichtlich und willentlich zu handeln und zusätzlich verstanden haben, dass ihr Handeln die Umwelt beeinflusst. Diese Fähigkeit entwickeln Kinder großteils in den ersten eineinhalb Jahren. Mehr Detail zur sozial-emotionalen Entwicklung erfahren Sie hier.

Lügen bei Kleinkindern

Dennoch beobachtete man Lügen nicht vor 2 Jahren und dann auch nur recht selten noch. Ungefähr mit 3 Jahren haben die meisten Kinder das Lügen für sich entdeckt. In diesem Alter und bis in die erste Hälfte der Volksschule sind die Lügen unserer Kinder noch recht leicht zu durchschauen. Sie sind aus ihrer Sicht der Dinge verfasst und großteils noch ohne logische Zusammenhänge und Schlussfolgerungen. Sie haben aber überwiegend mit sehr konkreten Dingen und Geschehnissen aus ihrer momentanen Situation zu tun.

Lügen bei Schulkindern

Im Schulalter wird das Denken zunehmend abstrakter und losgelöst von der momentanen Situation. Auch andere Personen und Geschehnisse können nun schon in die Lüge einbezogen werden. Ab ungefähr acht Jahren fangen Kinder an, auch andere Sichtweisen zu berücksichtigen. Daher werden die Lügen immer ausgefeilter und können nicht mehr so leicht entlarvt werden.

Unsere Kinder beginnen auch, andere Sichtweisen einzunehmen. Das heißt, das Mitgefühl prägt sich nun viel stärker aus und das hat natürlich einen Einfluss auf das Lügen. Die Folgen des Lügens werden immer mehr mitberücksichtigt und abgewogen. Für sie selbst und auch für andere.

Lügen bei Teenagern

Teenager haben schon alle kognitiven Fähigkeiten, die sie brauchen, um zu lügen wie wir Erwachsenen. Sie können auch die Folgen für sich und andere im vollen Umfang abschätzen. Und trotzdem lügen sie nicht nur aus Höflichkeit oder Not heraus. Oftmals lügen sie auch, weil sie sich schlauer fühlen als wir Eltern. In der Jugend fühlen sich unsere Kinder teilweise allmächtig und unbesiegbar. Das lässt sie glauben, bei Lügen nicht erwischt zu werden und befürchten keine Konsequenzen. Sie sehen nur die Vorteile, die sie durch eine Lüge haben.

Aber, Jugendliche sind auch in der Identitätsfindung. Für sie ist Freiheit und Selbstständigkeit wichtiger als vieles andere. Wenn dieses Bedürfnis nicht erfüllt ist, versuchen sie es natürlich mit allen Mitteln, sich zu verschaffen. Lügen und Verschweigen sind da einfache Mitteln, die oft mit dem gewünschten Ergebnis, nämlich mehr Freiheit und mehr Selbstständigkeit einhergehen. Wenn lügen in der Vergangenheit schon eine erfolgreiche Strategie war, werden sie es natürlich wieder versuchen.

Außerdem sind Freunde und deren Anerkennung wie ein Lebenselixier für unsere Teens. Sich und sein Leben besser darstellen, um in die Gruppe zu passen und bewundert zu werden, ist keine Seltenheit. Auch den Freunden bestimmte peinliche Dinge zu verschweigen fällt in diese Kategorie.

Warum Kinder lügen und was Sie dagegen unternehmen können, habe ich hier für Sie zusammengeschrieben.

Alle entwicklungspsychologischen Modelle, die die Hintergründe erklären, haben Ähnlichkeiten, allerdings unterscheiden sie sich auch in manchen Punkten, vorrangig über welche Lebensabschnitte sich die Entwicklung erstreckt. Daher halte ich es für wichtig, für interessierte Leser, die drei gängigsten Modelle dazustellen.

Lügen bezogen auf Entwicklungsmodelle

In den folgenden Tabellen finden Sie die Entwicklung von Lug und Trug bezogen auf verschiedene psychologische Entwicklungsmodelle. Hierbei sind die Entwicklung der Moral und der Perspektivübernahme wichtig. Erst durch die Entwicklung dieser Konzepte ist es möglich, auch das Entstehen und das Lernen von Lügen einzuordnen.

Lügen angelehnt an Piaget

Der bekannte Entwicklungspsychologe Jean Piaget hat die Entwicklung der Moral in vier Stufen festgehalten. Er sieht es als lebenslanger Prozess. Das Ende ist allerdings nicht fix vorgegeben, sondern von der Person abhängig. Nicht alle Menschen durchlaufen alle Stufen. Davon abhängig ist natürlich auch das Lügen. Welche Gesichtspunkte und Blickwinkel beim Lügen einbezogen werden oder auch nicht, ist direkt von der Entwicklung der Moral abhängig.

In der folgenden Tabelle können Sie sehen, wie sich unsere Fähigkeit zu lügen mit der Entwicklung der Moral einhergeht.

StufePhase
Stufe 1Senso – motorische Phase (0–1,5 Jahre)
In dieser Phase ist Lügen noch nicht möglich. Da noch keine Absicht zur Täuschung besteht.
Stufe 2Prä – operationale Phase (1,5 - 7 Jahre)
Kinder können sie Sichtweise anderer noch sehr schwer einnehmen. Bis ungefähr 5 noch fast gar nicht. Sie gehen immer nur von ihrer Sicht aus. Darum können wir Kinder beim Lügen noch recht leicht ertappen. Sie probieren es aus, allerdings immer aus Ihrer Sicht der Dinge. Und sie wissen auch schon, was aus ihrer Sicht für sie vielleicht von Nachteil wäre und versuchen es daher zu verschleiern.
Stufe 3Konkret operationale Phase 1 (7 - 8,5 Jahre)
Nun tritt auch zusätzlich das klassische Schwindeln über bestimmte Fakten auf. Sie beziehen schon bis zu zwei Merkmale der Situation in die Lügengeschichte mit ein. Zum Beispiel: „Es waren nur zwei Zuckerl da“, um sich einen solchen Vorteil zu verschaffen. Allerdings können unsere Kinder nun schon zwei Gesichtspunkte einbeziehen. Wenn wir unmittelbar vorher die Zuckerl gesehen haben, werden sie die Lüge natürlich nicht anwenden.
Konkret operationale Phase 2 (8 - 11 Jahre)
Kinder planen nun Lügen schon deutlich mehr und wägen auch die Folgen ab, welche sie nun schon im Gedanken durchspielen können.
Stufe 4Formal operationale Phase 1 (ab 12 Jahren)
Das Denken wird nun auch auf abstrakte Inhalte erweitert. Das wirkt sich natürlich auch aufs Lügen aus. Die Lüge löst sich nun von konkreten Situationen ab und können auch absichtlich schon große Dimensionen annehmen.
Formal operationale Phase 2
Unsere Kinder können nun schon andere Perspektiven und mehrere Variablen einbeziehen und vor allem auch mehrere Auswirkungen und Folgen gedanklich durchspielen.
Formal operationale Phase 3
Richtige Lügengestrikte sind nun möglich, die sich auch über mehrere Personen und gesellschaftliche Kreise ziehen können. Allerdings sind ihnen nun auch die Folgen in vollem Umfang bewusst.
Lügen in Bezug auf Piaget's Entwicklung der Moral

Stufen der Moralentwicklung nach Kohlberg und was sie fürs Lügen bedeuten

Lawrence Kohlberg sieht die moralische Entwicklung als reinen kognitiven Prozess. Das lässt wichtige Komponenten, wie zum Beispiel soziale Aspekte, ursprünglich weg. Nachträglich wurde auch mehrfach beobachtet, dass sich vorwiegend das Lügen ab 8 Jahren nicht ausschließlich nach Strafe richtet, wie eigentlich behauptet wird.

In dieser Darstellung habe ich aber für Lügen wesentliche Aspekte, die später gefunden wurden, natürlich mitberücksichtigt. Im Wesentlichen basiert hier Moral auf logischem Denken. Je logischer wir denken, desto moralischer handeln wir als Menschen.

Stufe 0Orientierung an egozentrischen Bedürfnissen
Lügen gibt es anfänglich noch nicht. Ab 3 Jahren wird es ausprobiert. Lügen wir eingesetzt, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Wenn Lügen eine negative Konsequenz hat, wird es allerdings unterlassen.
Stufe 1Orientierung an Strafe und Gehorsam
Nun wissen sie schon, was Lügen ist. Einfühlungsvermögen und die Darstellung der Gefühle anderer kann hier hilfreich sein. Regeln und Gebote werden aber noch hauptsächlich noch befolgt, um Strafen zu vermeiden.
Stufe 2Orientierung an instrumentellen Zwecken und Austausch
Gerade nun wird versucht, sich Vorteile herauszuschlagen. Das wird auf unvermeidlichen Wegen ausprobiert. Oft ist Lügen einer davon. Gelingt es unseren Kindern nun, sich in den anderen hineinzuversetzen, neigen sie eher dazu, gerecht zu agieren und zu handeln. Anfangs gelingt das bei anderen meist leichter, als wenn es um sie selbst geht.
Stufe 3Orientierung an Aufrechterhaltung wechselseitiger Erwartungen
Lügen kann nun schon sehr gut eingeschätzt werden. Im Interesse des Miteinanders und der Freundschaft wird darauf eher verzichtet.
Stufe 4Orientierung an Erhaltung des Systems
Lügen werden eher als Notlüge oder bei der Höflichkeitslüge eingesetzt.
Stufe 5Orientierung am Sozialvertrag
Je nach Selbstwert können Menschen dazu neigen, Lügen gezielt dazu einzusetzen, um bestimmten Gruppen zu gefallen. Nun ist es stark abhängig davon, welchen Stellenwert Ehrlichkeit in der persönlichen Moral einnimmt.
Stufe 6Orientierung an ethischen Prinzipien
Lügen hat in dieser Stufe eher einen geringen Stellenwert und Ehrlichkeit hingegen einen hohen. Dadurch kommt es meist recht wenig zum Lügen.
Lügen in Bezug auf die Moralentwicklung nach Kohlberg

Mehr zur Entwicklung der Moral habe ich hier für Sie.

Selman's Niveau der Perspektivübernahme und lügen

Robert Selman hingegen bezog ganz stark soziale und emotionale Komponenten und den Gerechtigkeitssinn in sein Konzept der Entwicklung mit ein. Er beschreibt die Entwicklung der Perspektivübernahme in fünf Stufen. Hier ist nichts anderes gemeint, als die Fähigkeit sich selbst in andere einfühlen zu können.

Gerade beim Lügen ist dieses Einfühlen in andere wichtig, um verstehen zu können, dass wir etwas falsch machen. In der folgenden Tabelle finden Sie diese Entwicklung bezogen auf diese Entwicklungsniveaus.

NiveauPerspektive
Niveau 0Egozentrische Perspektive (bis ca. 5 Jahre)
Mit ungefähr 3 Jahren fängt das absichtliche Sagen der Unwahrheit an. Es wird viel ausprobiert und Reaktionen beobachtet. Kinder kennen die Konsequenzen ihrer Lügen noch nicht. Sie sind eher darauf ausgerichtet, Schaden bzw. Schimpfen von sich selbst abzuwenden.
Niveau 1Sozial – informationsbezogene Perspektivenübernahme (ab 6 - 8 Jahre)
Manchmal setzten Kinder nun Lügen ein, um andere von der eignen Perspektive oder Vorhaben zu überzeugen.
Niveau 2Selbstreflexive Perspektivenübernahme (ab 8 - 10 Jahre)
Die Vor- und Nachteile einer Lüge werden abgewogen. Eine Lüge wird auch eingesetzt, um den anderen zu überzeugen und Verbündete zu schaffen.
Niveau 3Wechselseitige Perspektivenübernahme (ab 10 - 12 Jahre)
Lügen ist nun schon recht schwer zu entdecken. Meist sind sie schon recht komplex und haben nicht unbedingt mit der eigenen Perspektive oder eigenen Situation unserer Kinder zu tun. Sie können nun auch schon für andere lügen.
Niveau 4Perspektivenübernahme mit dem sozialen und konventionellen System (ab 12 - 15 Jahre)
Lügen wird in diesem Alter sehr stark dazu eingesetzt, anderen zu gefallen, besonders dem Freundeskreis. Unsere Kinder wissen nun, welche Konsequenzen welches Verhalten hat, so auch die Lüge und wägen ab, ob es Vorteile bringt zu lügen oder ob die Nachteile überwiegen.
Der Gesellschaft vorgeordnete Perspektive (frühestens ab 20 Jahren)
Lügen wird eher in Form der Notlüge und der Höflichkeitslüge angewandt.
Perspektive eines „moralischen Standpunktes“
Lügen spielt in diesem Stadium meist keine wesentliche Rolle im Verhalten.
Lügen in Bezug auf Selman's Niveau der Perspektivübernahme

Fazit

Lügen wird schon in früher Kindheit als Möglichkeit entdeckt, sich Vorteile gegenüber anderen zu verschaffen. Je weiter die Entwicklung der Fähigkeiten des Denkens und der Perspektivenübernahme voranschreiten, desto ausgefeilter und komplizierter können Lügen gestaltet werden. Allerdings haben unsere Kinder dann auch die geistige Fähigkeit, die Folgen des Lügens abzuschätzen und unterlassen es daher eher, vor allem wenn sie sehen, was eine Lüge mit dem Belogenen macht. Zur Entwicklung des Gewissen können Sie sich auch noch hier genauer informieren.

Interessante wissenschaftliche Artikel zum Lügen

Open Edition Journals: Die Psychologie des Lügens

Diplomarbeit Universität Klagenfurt: Die Lüge, Bedeutung und Funktion eines Alltagsphänomens

National Library of Medicine: Social and Cognitiv Correlates of Children’s Lying Behavior

Mag. Ines Wurbs

Ines Wurbs ist Psychologin und Mutter zweier Kinder. Ihre Leidenschaft konnte sie zum Beruf machen und stellt ihre mehr als 15-jährigen Erfahrung mit Kindern und Familien auf Familienpsychologin.eu zur Verfügung.

Ihr psychologischer Ratgeber in Familien- und Beziehungssachen.
© Copyright 2021 - Ines Wurbs
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