Wie lernen Kinder lesen?

Für den Erwerb der Lesefähigkeit brauchen unsere Kinder mehrere grundlegende Fertigkeiten. Die Fähigkeit zu Lesen entwickelt sich in drei Phasen. Diese Phasen sind die Buchstabenerkennung, die Worterkennung und das sinnerfassende Lesen. Was in diesen Phasen geschieht und wie Sie Ihr Kind dabei unterstützen können, erfahren Sie hier.

Welche Fähigkeiten brauchen unsere Kinder zum Lesen?

Die notwendigen Fähigkeiten sollten alle fleißig geübt werden, ansonsten besteht die Gefahr, dass unsere Kinder mit dem Lesen überfordert sind. Und wenn sich Kinder mit etwas schwertun, dann tun sie es auch nicht gerne.

Die wichtigste Fähigkeit, die ein Kind benötigt, um vom Sprechen zum Schritt des Lesens überzutreten, ist die phonologische Bewusstheit. Also die Fähigkeit, die Struktur der gesprochenen Laute zu erkennen und diese dann auch sinnvoll zu nutzen. 

Das gelingt Kindern umso besser, je mehr Erfahrungen sie auch schon im Kleinkindalter sammeln. Hierfür ist es besonders wichtig, dass Eltern mit ihren Kindern sprechen. Vor allem Lieder und Reime eignen sich hervorragend. So erkennt Ihr Kind den Zusammenhang von Buchstaben und den dazugehörigen Lauten. Interaktives Lesen, also wenn wir Eltern vorlesen und auf die Inhalte des Buches zeigen und besprechen, sowie Schreibversuche oder Schreibübungen mit uns Eltern fördern fast alle wichtigen Fertigkeiten.

Die Verarbeitungsgeschwindigkeit sowie das Erkennen von Buchstaben und Lauten werden zunehmend besser. Wenn alle Teilbereiche gut funktionieren, werden diese zur Routine und laufen automatisch ab. Somit werden im Arbeitsgedächtnis Ressourcen frei. Diese Kapazitäten werden nun genutzt, um das Gelesene auch zu verstehen. 

PISA Studie
Pisa Studie Lesen

Bei der Pisa Studie zeigt sich ein leichter Rückgang für österreichische und deutsche Schüler. Aber Deutschland, Österreich und die Schweiz liegen generell in einem guten Mittelfeld. Allerdings sagt das für den einzelnen Schüler natürlich wenig aus. Eher für unser Schulsystem gesamt.

Die Phasen des lesen Lernens

 Im deutschsprachigen Raum gehen wir davon aus, dass wir, wenn wir lesen, auf eine Art mentales Lexikon zugreifen. In diesem sind die uns bekannten Wörter als Ganzes abgespeichert. Aber es werden dort auch Wörter Buchstabe für Buchstabe entschlüsseln. Wir nennen das phonologische Rekodierung. Dies geschieht im Wesentlichen in drei sich überschneidenden Phasen.

Buchstaben erkennen und unterscheiden

In dieser Phase ist es wichtig, die Buchstaben erst mal kennenzulernen und sie zu unterscheiden. Jetzt fangen unsere Kinder an, die Buchstaben aneinander zu reihen. Die deutsche Sprache hat dabei den Vorteil, dass sie sehr regelmäßig ist. Damit tun sich Kinder leicht und lernen schnell auch neue, ihnen unbekannte Wörter, zu lesen. Diese Phase wird auch die alphabetische Phase mit geringer Integration genannt.

Erkennen von Buchstabenkombinationen und Wörtern

Fast gleichzeitig entwickelt sich auch die Fähigkeit, Wörter immer schneller zu erkennen. Zuerst werden einzelne Wortteile, häufige Buchstabenkombinationen und schließlich auch ganze Wörter im mentalen Lexikon abgespeichert. So fällt es unseren Kindern auch immer leichter, diese zu erkennen und zu lesen. Die Lesefehler werden weniger und die Lesegeschwindigkeit nimmt allmählich zu. Dies nennt man die alphabetische Phase mit teilweiser Integration.

Sinnerfassendes Lesen

In der dritten Phase geht das Lesen schon automatisch. Ist ein Kind in dieser Phase angelangt, lernt es durch die Erfahrung, also durch Lesen, aber auch Sprechen und Schreiben weitestgehend von allein. Auch ohne Ihr Zutun.

Gute und schlechte Leser unterscheiden sich im deutschen Sprachraum hauptsächlich durch ihre Lesegeschwindigkeit, weniger durch Lesefehler, wie in der Wiener Längsschnittstudie zur Leseentwicklung herausgefunden wurde. Die alphabetische Phase mit vollständiger Integration ist erreicht.

Die zwei Methoden des Lesen-Lernens

Zum Lesen lernen gibt es zwei Methoden. Dies sind die Gesamtwortmethode und die analytische Methode.

Die Gesamtwortmethode: Lesen soll wie das Erlernen von Sprache gelehrt werden. Die Kinder sollen also von Beginn an den ganzen Text vorgelegt bekommen. Also ganze Märchen oder Geschichten, nur so gelingt es ihnen zu verstehen, dass Texte bzw. die Schrift eine kommunikative Funktion hat. Das soll die Motivation bei unseren Kindern auslösen, um sich alle nötigen Fertigkeiten zum Lesen anzueignen und diese auch ausreichend zu üben.

Die analytische Methode zielt darauf ab, dass unsere Kinder zuerst alle Laute im Sprachklang (Phoneme) und deren Funktion kennenlernen sollen. Dann werden diese Laute geschrieben und erst wenn die Kinder das können, können ihnen Geschichten oder andere Texte zugemutet werden.

Wie kann ich mein Kind beim Lesen lernen unterstützen?

Zahlreiche Studien haben tatsächlich belegt, dass sich diese beiden Methoden gut ergänzen und es für die Kinder von Vorteil ist, beide zu nutzen. Also in der Vorschule und am Beginn der Volksschule sollte das Lesen eher mit dem Erarbeiten der Phoneme beginnen. Das Lesen und Schreiben lernen sollte möglichst in allen Bereich des Alltags untergebracht werden. Und natürlich auch in allen Unterrichtsfächern in der Schule. 

Die Leseübungen sollten immer ohne Druck geschehen und von den Eltern oder Pädagogen gut angeleitet und unterstützt werden. Am besten natürlich auch mit unterschiedlichen Methoden. Sie können Ihr Kind auch mal im Sand zeichnen oder auf einem Tablett mit Creme den Namen, mit Fingerfarben an die Fensterscheibe oder mit Lebensmittelfarbe in den Schnee, schreiben lassen.

Natürlich können auch Sie etwas vorschreiben und Ihr Kind liest es. Eine Buchstabenrallye mit Zetteln an Bäumen oder mit Farbe im Schnee macht beinahe jedem Spaß. Alles, was Ihnen hierzu einfällt und den Kindern Spaß macht, ist erlaubt. Das fördert die Motivation, zu schreiben und auch zu lesen.

Übungen zum Lesenlernen

Wörter und Silben gliedern

Sprechen Sie einzelne Wörter vor oder schreiben Sie diese vor. Lassen Sie Ihre Kinder Silbenbögen dazu malen. Es geht auch, dass Sie ein kleines Bild zeichnen und Ihr Kind das Wort spricht und die Silbenbögen darunter zeichnet.

Sie können auch mit Ihrem Kind Silben klatschen oder Silben schreiten (also pro Silbe einen Schritt gehen).

Silbenbögen
Silbenbögen

Reime

Reime bieten sich in allen Formen an. Diese können als Fingerspiel für kleine Kinder durchgeführt werden. Ab dem Vorschulalter können Sie auch ausprobieren, die Kinder selbst Reime erfinden zu lassen. Entweder Sie geben ein Wort vor und Ihr Kind soll ein Wort finden, dass sich reimt oder Sie geben einen ganzen Satzteil vor. Also: Rose-Hose oder „Das ist eine Maus – die sitzt im kleinen …“ zum Beispiel. 

Anlaut-Analysen

Geben Sie Ihrem Kind einfache Wörter vor oder auch Bilder. Fragen Sie es, ob die Wörter am Anfang gleich klingen oder nicht. Noch einfacher ist es, wenn Sie Ihr Kind fragen: „Fängt Banane mit O an?“ Die nächst schwierige Stufe wären es, Wörter zu vergleichen: „Klingen Hose und Haus am Anfang gleich?“

Natürlich geht das auch mit Buchstaben in der Mitte oder am Ende des Wortes.

Sie können auch „Ich seh, ich seh, was du nicht siehst und das fangt mit O an“ spielen.

Oder Ihr Kind darf einen Buchstaben wählen. Nehmen Sie einen Ball und schießen Sie diesen Hin und Her. Der, der den Ball hat, muss dann ein Wort mit diesem Anfangsbuchstaben sagen.

Vermeiden Sie dabei, nach nicht hörbaren Lauten zu fragen, also zum Beispiel Wörter mit R am Schluss (Kinder), Wörter mit stummen h (Uhr) oder auch Wörter mit schlecht hörbaren Buchstaben in der Umgangssprache (Kerze).

Weitere Übungsmöglichkeiten

Weitere Information zum phonologischen Bewusstsein finden Sie auf dem Bildungsserver Berlin-Brandenburg

Natürlich gibt es auch eine Reihe Materialien, die Sie hierfür nutzen können, Anlauttabellen, Memories, Lük spiele, aber auch gerade Erstlesebücher sind sehr praktisch und machen den Kindern meist Spaß. Erstlesebücher mit Bildern können Sie durchaus auch schon ab 4 Jahren verwenden. In diesem Artikel finden Sie gezielt Übungen, die auch bei einer Lese-Rechtschreibschwäche sinnvoll sind.

Fazit

Gehen Sie entspannt an die Sache ran. Schauen Sie, dass es für Ihr Kind und für Sie angenehm ist und Spaß bereitet. Ihr Engagement zahlt sich bestimmt aus und erleichtert Ihrem Kind den Schulunterricht.

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Mag. Ines Wurbs

Ines Wurbs ist Psychologin und Mutter zweier Kinder. Ihre Leidenschaft konnte sie zum Beruf machen und stellt ihre mehr als 15-jährigen Erfahrung mit Kindern und Familien auf Familienpsychologin.eu zur Verfügung.

Ihr psychologischer Ratgeber in Familien- und Beziehungssachen.
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