Mein Kind spricht nicht! Hat es selektiver Mutismus oder ist es bloß schüchtern?

Wenn Kinder in gewissen Situationen nicht mehr sprechen, kann das unterschiedliche Ursachen haben. Aber wann sollten wir handeln? Ist mein Kind nur schüchtern oder steckt da mehr dahinter?

Viele Eltern sind hier verständlicherweise verunsichert. Ich verrate Ihnen in diesem Beitrag:

  • Wie Sie selektiven Mutismus erkennen und was das ist.
  • Wie Sie ihn von Schüchternheit unterscheiden können.
  • Wie Sie Ihrem Kind in diesen Situationen helfen können.
  • Welche Folgen das Nichtsprechen haben kann und
  • wo Sie Hilfe finden.

Wie erkenne ich selektiven Mutismus?

Selektiver Mutismus ist eine Entwicklungsstörung, die dazu führt, dass ein Kind mit ihm nicht vertrauten Personen nicht spricht. Das Kind spricht zu Hause weitgehend normal, spricht allerdings in der Schule oder Kindergarten gar nicht. Dieses nicht Sprechen, obwohl das Kind die Sprache gut beherrscht, ist auch das deutlichste Erkennungsmerkmal.

Dieses Verstummen in spezifischen Situationen ist längerfristig.

In ungewohnten und für das Kind unsicheren Situationen erstarrt das Kind regelrecht und kann nicht sprechen. Das spiegelt sich auch in der Körperhaltung und im Gesichtsausdruck wider.

Die Situationen, in denen das Kind nicht spricht, sind genau abgrenzbar und meist für die Eltern auch gut vorherzusagen.

Achtung
Bei selektiven Mutismus geht es nicht, um nicht reden Wollen. Die Kinder können in diesen Augenblick nicht sprechen!

Weitere Anzeichen, die auf Mutismus hinweisen, sind:

  • Die Kinder klammern sehr stark an ihrer Bezugsperson.
  • Bauen keinen Augenkontakt auf.
  • Nicken oder deuten nur in Anwesenheit anderer.
  • Beobachten sehr viel und genau.
  • Spielen eher nur nebenher als aktiv mit anderen.
  • Beschäftigen sich hauptsächlich mit „stillen“ Beschäftigungen, wie Schreiben, Malen, basteln, lesen …
  • Die Kinder gehen nur zu Hause auf die Toilette.
  • Essen auch nur zu Hause.
  • Wirken in der Bewegung gehemmt.

Wie unterscheide ich Schüchternheit von selektivem Mutismus?

Das wohl deutlichste Merkmal, um beides zu unterscheiden, ist die Eingewöhnungsphase. Schüchterne Kinder haben eine verlängerte Eingewöhnungsphase, aber sind sie einmal „aufgetaut“ spielen und sprechen sie mit anderen, wie sonst auch. Bei selektiven Mutismus ist das nicht der Fall, das Kind bleibt sozusagen stumm und tritt auch sonst sehr wenig in Interaktion mit den anderen.

Schüchterne Kinder sind auch von sich aus bestrebt, Vertrauen aufzubauen und auf ihre eigene Art und Weise Kontakte zu knüpfen. Kinder mit selektiven Mutismus suchen keine Möglichkeiten, um am Geschehen teilzunehmen.

Schüchterne Kinder sagen, dass sie sich unwohl fühlen oder ängstlich sind. Kinder mit selektiven Mutismus geben auch keine Antwort, wenn wir sie darauf ansprechen, sie verstummen ganz.

Bei schüchternen Kindern kann beinahe immer, eine Reaktion in irgendeiner Form hervorgerufen werden. Kinder mit selektiven Mutismus verstummen und erstarren meist zusätzlich, wenn sie mitbekommen, dass Dritte zuhören.

Haben schüchterne Kinder ein Grundbedürfnis, wie Hunger oder wenn sie aufs Klo müssen, schaffen sie es sich zu überwinden. Kinder mit selektiven Mutismus haben diese Möglichkeit nicht, egal, wie dringend das Bedürfnis ist.

Sollten Sie ein Kind im Kindergartenalter haben, habe ich hier einen spezifischen Beitrag für Sie zusammengeschrieben.

Warum spricht mein Kind nicht mit anderen?

Heute wissen wir, dass eine Vielzahl von Ursachen und bestimmte Risikofaktoren, zusammen mit den Genen bei der Entstehung von Mutismus eine Rolle spielen. Selten gibt es ein bestimmtes Ereignis. Aber viele kleine Bausteine zusammen, die das Sprechen und die soziale Interaktion beeinflussen, können zusammen zur Entstehung von selektiven Mutismus führen.

Risikofaktoren sind:

  • Veranlagung durch die Eltern (wenn ein Elternteil selbst betroffen ist)
  • soziale Ängste
  • Sprachfehler
  • Zweisprachigkeit
  • Stress und Druck innerhalb der Familie
  • Depressiver Elternteil

All diese Faktoren können ungünstig zusammenspielen und als Resultat selektiven Mutismus bedingen. Das muss aber natürlich nicht der Fall ein. Wir Menschen besitzen auch einen natürlichen Schutz gegen diese Einflüsse, die Resilienz. Mehr dazu erfahren Sie in diesem Beitrag.

Wie kann ich meinem Kind helfen, wenn es mit anderen nicht spricht?

Hier habe ich auch ein paar Ansätze, wie Sie Ihrem Kind helfen und was Sie machen können, wenn Ihr Kind vor Dritten nicht spricht. Dabei spielt die Ursache weniger eine Rolle. Diese Tipps lassen sich bei selektiven Mutismus, wie auch bei Schüchternheit anwenden.

  • Setzen Sie Ihr Kind keinesfalls unter Druck!
  • Stellen Sie sich auf einen länger andauernden Prozess der Besserung ein und bleiben Sie geduldig.
  • Suchen Sie das Gespräch mit den Lehrern.
  • Klären Sie, in welchen Situationen genau Ihr Kind verstummt.
  • Versuchen Sie, den Beziehungsaufbau zu anderen zu fördern. (Hier gibt es ein paar Tipps)
  • Schaffen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind, Lehrern und Freunden ein sicheres, vertrautes Umfeld.
  • Loben Sie Ihr Kind, für Kommunikationsversuche und zeigen Sie ihm/ihr Ihre Anerkennung.
  • Üben Sie mit Ihrem Kind Gespräche aus alltägliche Situationen zu Hause im Rollenspiel. (Mehr dazu finden Sie hier)
  • Setzen Sie bewusst täglich kleine Gesprächsübungen fest. (30–60 Minuten täglich.)
  • Suchen Sie einen Therapieplatz bei einem klinischen Psychologen oder Psychotherapeuten, der/die auf Kinder spezialisiert ist. Unten im Text finden Sie erste Anlaufstellen verlinkt oder fragen Sie bei Ihrem Kinderarzt nach.
  • Zusätzlich können Sie auch einen Logopäden oder Musik-, Kunst- oder Reittherapie besuchen. Allerdings niemals als einzigen Ansatz, sondern immer nur ergänzend.

Welche Probleme kann Mutismus verursachen?

Mutismus generell verursacht hauptsächlich soziale Probleme, da das gesamte soziale Miteinander erheblich durch das Nichtsprechen beeinflusst und gehemmt wird.

Es entsteht eine Art Teufelskreis. Möglicherweise gibt es ein Problem mit dem Sprechen: Lispeln, Stottern, nicht perfekte Sprachkenntnisse oder Ähnliches. Das Kind ist etwas ängstlich, überwindet sich aber, mit anderen zu sprechen. Dann sammelt das Kind aber schlechte Erfahrungen durch das Sprechen. Die Scheu und die sozialen Ängste verstärken sich und das Sprechen wir immer weniger oder gar ganz eingestellt, um Misserfolge zu vermeiden. Dadurch werden Hemmungen und soziale Ängste, sowie die soziale Entwicklung, weiter negativ beeinträchtigt.

Langfristige Folgen können von sozialer Isolation im Erwachsenenalter hin zu Depression, Substanzmissbrauch und anderen schwerwiegenden psychischen Erkrankungen reichen.

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Mag. Ines Wurbs

Ines Wurbs ist Psychologin und Mutter zweier Kinder. Ihre Leidenschaft konnte sie zum Beruf machen und stellt ihre mehr als 15-jährigen Erfahrung mit Kindern und Familien auf Familienpsychologin.eu zur Verfügung.

Ihr psychologischer Ratgeber in Familien- und Beziehungssachen.
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