Mein Kind hat ADHS und ist abends besonders aufgedreht

Der Alltag kann für unsere Kinder und uns oft auch sehr anstrengend sein. Und das trifft besonders dann zu, wenn einer in der Familie ADHS hat. Besonders der Abend stellt daher für viele Familien eine besondere Herausforderung dar.

Bei Kindern mit ADHS braucht es eine genaue und strikte Planung des Familienabends, um Ihrem Kind zu ermöglichen, zur Ruhe zu kommen und einzuschlafen. Wie das genau geht, finden Sie in diesem Artikel.

Ursachen, warum ein ADHS Kind abends aufgedreht ist

Die Ursache ist schnell erklärt: wie bei allen Kindern schlägt sich hier die Müdigkeit nieder. Auch Kinder mit ADHS haben Kontrolle über ihre Emotionen und ihre Impulse. Nur eben anders als Kinder ohne ADHS, aber sie leben dennoch nicht alles ungebremst aus. Abends sind die Ressourcen einfach meist schon aufgebraucht und erschöpft und so gelingt die Selbstregulation nur wenig bis gar nicht.

Zusätzlich kommen die zahlreichen Erfahrungen des Tages, die in unseren Kindern arbeiten und verarbeitet werden wollen, dazu. Am Abend ist das Fass sozusagen randvoll. Daher sind die Emotionsausbrüche stärker, mehr Impulse werden ausgelebt und gleichzeitig sinkt die Aufmerksamkeit nochmals deutlich ab. So bekommen unsere Kinder auch weitaus weniger mit, was in ihrer Umgebung passiert.

Was kann ich tun, wenn mein ADHS Kind abends nicht zur Ruhe kommt?

Das wichtigste ist, eine gut geplante Abendroutine einzuhalten. Das gibt unseren Kindern Sicherheit und verschafft ihnen eine Verschnaufpause vom stressigen Alltag. Routinen sind wie Leitlinien, an denen sie sich orientieren können und die es ihnen auch ermöglichen, die Aufgaben zu erfüllen, wenn sie schon sehr müde und erschöpft sind. Routinen haben den Vorteil, dass sie immer gleich sind. Sie bergen daher keine Überraschungen und sind mit der Zeit so gut eingeübt, dass sie kaum mehr Denkleistung erfordern. Optimal also für die Abendstunden, wo die meisten unserer Ressourcen bereits verbraucht sind.

Ich empfehle immer, die Abendplanung mal kurz durchzudenken und sich dann Notizen zu machen, um eine realistische Planung für den Abend aufzustellen. Pläne sind ja recht gut und schön, aber meistens fallen sie dann dem Alltag zum Opfer und werden nicht oder nur ein bisschen umgesetzt. Daher empfiehlt es sich, sich auch über die tatsächlichen Gegebenheiten Gedanken zu machen. Und so erstellen Sie den Plan:

Leitlinien zum Erstellen eines Plans zum Schlafengehen

Diese Fragen sollen Ihnen helfen, sich klarzumachen, was Sie und Ihr Kind in Ihrem Alltag wirklich benötigen und umsetzen können. Machen Sie sich am besten kleine Notizen zu jeder Frage.

  • Wie sieht Ihr bisherige Abendroutine aus?
  • Was funktioniert gut, was schlecht?
  • Wann wollen Sie, dass Ihr Kind schläft?
  • Wie viel Schlaf benötigt Ihr Kind täglich?
  • Ab wann wollen Sie Feierabend haben?
  • Wie lange braucht es, bis das Kind bettfertig ist?
  • Wie lange dauern die Abendrituale?
Reale Schlafengehzeit =
Die Uhrzeit, wann Ihr Kind schlafen sollte, angepasst an Ihren abendlichen Zeitablauf und der optimalen Gesamtschlafdauer. Haben Sie diese Uhrzeit ermittelt, gehen Sie die Minuten, vor, die Ihr Kind braucht, um sich Schlaf bereitzumachen und die Zeit, die alle Abendrituale benötigen.

Plan erstellen

Nun geht es mit dem Erstellen des Plans los:

  1. Plan erstellen und einhalten
    Erstellen Sie sich zunächst diesen Plan zum Schlafengehen und versuchen Sie ihn auch konsequent umzusetzen. Ausnahmen sind später natürlich möglich, aber zum Eingewöhnen sollten sie ihn drei bis fünf Wochen konsequent umsetzen.
  2. Optimale Schlafbedingungen schaffen
    Nicht jeder Schlafplatz ist gleich gut. Tendenziell fühlen wir Menschen und wohler, wenn unser Bett an einer Wand steht und die Tür vom Polster aus gesehen werden kann. Aber auch die Raumtemperatur sollte nicht zu hoch sein. Empfohlen werden 18 bis 19 Grad.
    Kinder sind noch dazu gerne eingekuschelt. Zu große Betten sind daher nicht unbedingt optimal. Sie können aber auch eine Abgrenzung im Bett machen, damit Ihr Kind einen Rand ertasten kann. Wir machen das einfach mit dem Stillkissen in der Bettmitte.
  3. Auspowern
    Sind unsere Kinder körperlich ausgepowert, schlafen sie auch besser. Das gilt natürlich auch bei Kindern mit ADHS, denn Sport und Bewegung sind unerlässlich, um einen Ausgleich zu schaffen. Dabei sind Teamsportarten genauso wichtig, wie sich frei und individuell bewegen zu können. Besonders abends würden Gruppen Kinder mit ADHS aber noch zusätzlich fordern. Da ist es vielleicht besser, einfach mit einem Elternteil Radfahren zu gehen oder wild in der Wohnung zu tanzen.
  4. Ängste nehmen
    Häufig haben unsere Kinder in der Nacht Angst. Wir sollten ein offenes Ohr dafür haben und diese Ängste offen und ehrlich mit unseren Kindern besprechen. Zu entwicklungsbedingten Ängsten habe ich auch einen umfassenden Beitrag für Sie hier zusammengefasst.
  5. Grenzen wahren
    Manchmal wirkt es auf uns so, als ob unsere Kinder gerade beim Schlafen gehen ihre Grenzen austesten wollen. Noch eine Kleinigkeit zum Essen, längeres Anziehen, noch eine zweite Geschichte und noch 5 Minuten mehr kuscheln. Es kann natürlich sein, dass das der Fall ist. Dann sollten Sie das auch ansprechen und weiter die Abendroutinen verfolgen. Grenzen und auch die Abendroutine sollten eingehalten werden, sonst fällt die Gewohnheit weg. Vielleicht interessiert Sie auch dieser Beitrag: Der beste Weg, einem Kind Grenzen setzen, ohne es zu verletzen.
  6. Störfaktoren beseitigen
    Beseitigen Sie auch alle möglichen Störfaktoren, wie Lärm, unangenehmen Gerüche, Spielzeug im Schlafzimmer oder bei möglichen Zusatzerkrankungen. Versuchen Sie aber auch die Beschwerden mit Ihrem Kinderarzt zu lindern.
  7. Müdigkeit erkennen
    Besonders, wenn unsere Kinder so aufgeregt und noch voller vermeidlicher Power sind, merken sie selbst nicht, dass sie eigentlich müde und erschöpft sind. Kindern fällt das generell noch schwer, Müdigkeit richtig zu erkennen und zu benennen. Darum sollten Sie das auch für Ihr Kind tun und ihm/ihr klarmachen, was gerade mit ihm/ihr los ist. So können sie mit der Zeit lernen, auch schon kleinere Anzeichen zu bemerken und aktiv Ruhephasen zu suchen.
  8. Zurücktragen
    Sollte Ihr Kind doch in der Nacht zu Ihnen ins Bett kommen, empfehle ich kurz zu kuscheln und Ihr Kind danach behutsam und liebevoll wieder in das eigene Bett zurückzubringen.
  9. Beschwerungsdecke
    Eine Beschwerungsdecke (Werbung) ist schwerer als eine normale Bettdecke und wirkt auf uns Menschen dadurch beruhigend und festigend. Besonders während des Schlafens ist das für viele Kinder sehr erholsam und sie schlafen dadurch tiefer. Das Gewicht darf aber natürlich nicht zu schwer sein, um Ihr Kind zu gefährden. Man nimmt circa 10 % des Körpergewichts.

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Haben ADHS Kinder Schlafstörungen?

Schlafstörungen sind leider eine häufige Begleiterscheinung von ADHS. Im Handbuch ADHS werden folgende Symptome und Häufigkeiten aufgelistet:

Art des SchlafproblemsKinder mit ADHS in %Kinder ohne ADHS in Prozent
lange Einschlafdauer56 %23 %
häufiges nächtlich Aufwachen39 %20 %
Morgenmüdigkeit 55 %27%
Schlafstörungen in %

Die schlechtere Schlafqualität wirkt sich natürlich auch auf das Verhalten aus. Je müder unsere Kinder sind, desto schwieriger ist es für sie sich zu konzentrieren und desto leichter gehen ihre Gefühle mit ihnen durch oder geben sie Impulsen nach, die zu „unerwünschten“ Verhalten führen. ADHS und Schlafprobleme beeinträchtigen sich sozusagen gegenseitig.

Ausgeruht sein ist ein Grundstein zum erfolgreichen Bewältigen unseres Alltages. Hier besteht also ein weiterer Nachteil, den Kinder mit ADHS haben.

Die „gute“ Nachricht ist, dass diese Schlafstörungen oftmals durch andere Begleiterkrankungen ausgelöst werden, wie Restless-Legs-Syndrom, nächtliches Einnässen oder Neurodermitis zum Beispiel. Haben Sie den Verdacht auf eine weitere Ko-Erkrankung, die den Schlaf Ihres Kindes stören könnte, sprechen Sie bitte umgehend mit Ihrem Kinderarzt darüber.

Resümee

Am wichtigsten ist also, so viele Störfaktoren wie möglich auszuschalten und durch einen Plan, den Abend zu standardisieren. Eingeübte Routinen helfen unseren Kindern, wie auch uns, die Abläufe zu automatisieren und das spart Kraft und benötigt dann kaum Aufmerksamkeit. Das kommt uns besonders in den Abendstunden zugute.

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Mag. Ines Wurbs

Ines Wurbs ist Psychologin und Mutter zweier Kinder. Ihre Leidenschaft konnte sie zum Beruf machen und stellt ihre mehr als 15-jährigen Erfahrung mit Kindern und Familien auf Familienpsychologin.eu zur Verfügung.

Ihr psychologischer Ratgeber in Familien- und Beziehungssachen.
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